Die DSGVO ist inzwischen das sprichwörtliche Damoklesschwert über allen Unternehmen, die massenhaft Daten verarbeiten. Ein einziger „data breach“ könnte, sollte der EuGH entsprechend entscheiden, zur Insolvenz eines Unternehmens führen.
„Inzwischen kann jeder mit Seiten wie „haveibeenpwned.com“ sehr einfach herausfinden, ob seine Daten von einem Datenleck o.ä. betroffen sein könnten.“ — Nils Stark
- Ausgangssituation
Gemäß Art. 82 DSGVO kann jede natürliche Person, die von einem Datenschutzverstoß betroffen war, wegen der Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts, einen immateriellen Schadenersatz verlangen. Viele Unternehmen verarbeiten oft hunderttausende oder millionenfache personenbezogene Daten. Daneben können auch aufsichtsrechtliche Maßnahmen bis hin zu saftigen Bußgeldern anfallen. Selbst wenn nach einem Datenleck nur ein Bruchteil der Betroffenen ihre Ansprüche gem. Art. 82 DSGVO geltend machen, könnte die Insolvenz drohen, wenigstens aber erhebliche Einbußen bedeuten.
Nach Wortlaut des Art. 82 I DSGVO ist ein Verstoß gegen diese Verordnung (also die DSGVO, aber auch andere EU- oder nationale Rechtsakte die aufgrund der DSGVO erlassen wurden – siehe auch Erwägungsgrund Nr. 146 DSGVO) ausreichend, der zu einem Schaden bei dem Anspruchsteller geführt hat.
Die bisher zugesprochenen Schadenersatzsummen durch die Rechtsprechung bewegen sich zwischen 300 € und 5000 €. Allerdings ist die Tendenz zu höheren Schadenersatzsummen zu erkennen. Hinsichtlich des Vorliegens eines tatsächlichen Schadens und dessen Höhe, ergingen mitunter diametrale Entscheidungen.
Das Arbeitsgericht Düsseldorf (Urt. 05.03.2021 – 9 CA 6567/18) hat in seiner Entscheidung deutlich gemacht, dass eine effektive Sanktionierung durch die DSGVO nur durch eine „abschreckende Wirkung“ des Schadenersatzanspruchs zu erreichen ist. Die Höhe des Schadens richtet sich daher nicht an der tatsächlichen Verletzung des Persönlichkeitsrechts, sondern vielmehr an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verantwortlichen im Sinne der DSGVO.
Das OLG Dresden (Urteil vom 08.12.2020 – 18 U 5493/19) lehnt hingegen einen Schadenersatz mit der Begründung ab, dass für einen Schadenersatz nach Art. 82 DSGVO eine „schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung“ vorliegen muss. Mit anderen Worten: Bagatellfälle sind ausgeschlossen.
Das OLG München (Urteil vom 08.12.2020 – 18 U 5493/19) entschied, dass auch eine geringfügige Verletzung des Persönlichkeitsrechts einen Schaden begründen kann, lehnte einen Schadenersatzanspruch jedoch ab, da es sich streitgegenständlich um vertragliche Ansprüche handelte.
- Praxisrelevanz
Warum ist also das Thema immaterieller Schadenersatz nach Art. 82 DSGVO plötzlich relevant, wenn die Bestimmung schon seit Mai 2018 nach DSGVO anwendbar ist?
Um das zu beantworten ist die Entscheidung des BVerfG (Beschluss vom 14.01.2021 – 1 BvR 2853/19) und der Vorlagebeschluss des OGH in Wien an den EuGH (Beschluss vom 15.04.2021 – 6Ob35/21x) besonders interessant.
- a) Entscheidung des BVerfG
Das BVerfG entschied darüber, ob das Amtsgericht Goslar einen Rechtsstreit über einen Schadenersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO gem. Art. 267 AEUV dem EuGH zur Vorabentscheidung hätte vorlegen müssen.
Das Amtsgericht entschied, dass zwar gegen die DSGVO verstoßen wurde, aber der Verstoß dahinstehenbleiben kann, da hinsichtlich der Verletzung des Persönlichkeitsrechts lediglich eine Unannehmlichkeit für den Betroffenen eingetreten ist. Das BVerfG stellte jedoch fest, dass ein immaterieller Schadenersatz gem. Art. 82 DSGVO nach Rechtsprechung des EuGHs bisher nicht geklärt wurde und die Voraussetzungen eines Schadens gem. Art. 82 DSGVO sich weder aus der DSGVO selbst, der Literatur, noch den Erwägungsgründen ergehen. Daher durfte das Amtsgericht nicht inhaltlich über die Voraussetzungen des (Bagatell-)Schadens im Sinne des Art. 82 DSGVO entscheiden.
- b) Vorlagebeschluss des OGH Wien
In diesem Kontext gewinnt der Vorlagebeschluss des OGH in Wien an den EuGH. Die Richter in Luxemburg sollen nun über folgendes entscheiden:
- Erfordert der Zuspruch von Schadenersatz nach Art 82 DSGVO neben einer Verletzung von Bestimmungen der DSGVO auch, dass der Kläger einen Schaden erlitten hat oder reicht bereits die Verletzung von Bestimmungen der DSGVO als solche für die Zuerkennung von Schadenersatz aus?
- Bestehen für die Bemessung des Schadenersatzes neben den Grundsätzen der Effektivität und Äquivalenz weitere Vorgaben des Unionsrechts?
- Ist die Auffassung mit dem Unionsrecht vereinbar, dass Voraussetzung für den Zuspruch immateriellen Schadens ist, dass eine Konsequenz oder Folge der Rechtsverletzung von zumindest einigem Gewicht vorliegt, die über den durch die Rechtsverletzung hervorgerufenen Ärger hinausgeht?
- Sparen ist nicht geboten
Wie der EuGH entscheiden wird, kann nicht abschließend beurteilt werden. Tendenziell entscheidet der EuGH zugunsten der Verbraucher. Zurücklehnen ist aber bei Weitem nicht angesagt. Sollte der EuGH zum Schluss kommen, dass es mit dem Unionsrecht unvereinbare wäre, dass die Konsequenz aus der Rechtsverletzung erhebliches Gewicht haben muss, also jegliche Belästigung als immaterieller Schaden anzuerkennen ist, dann könnte auf von Datenlecks betroffene Unternehmen eine Welle von Schadenersatzklagen zurollen. Etliche Verbraucherkanzleien und Legal-Tech-Anbieter stehen bereits in den Startlöchern, die Betroffenen zu vertreten. Die Rechtsprechung hat hierzu auch grünes Licht gegeben: dass immaterielle Schadenersatzansprüche abtretbar sind, hat der BGH (Beschluss vom 18.06.2020 – IX ZB 11/19) schon entschieden.
Inzwischen kann jeder mit Seiten wie „haveibeenpwned.com“ sehr einfach herausfinden, ob seine Daten von einem Datenleck o.ä. betroffen sein könnten.
Im Hinblick auf die möglichen Auswirkungen des Urteils sollte jedes Unternehmen, insbesondere diejenigen, die massenhaft besonders sensible Daten verarbeiten, ihre technisch-organisatorische Maßnahmen überprüfen und gegebenenfalls revidieren.
Wer jetzt Geld sparen will, könnte in Zukunft die Insolvenz drohen.
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